Gesteigerte Qualität und Produktivität mit intelligenter Fertigungsassistenz

Vipra Dashboard © SHS Plus GmbH
Vipra Dashboard © SHS Plus GmbH

26.06.2019

Bei der Herstellung von Kunststoffprodukten in industriellen Produktions­prozessen treten in den Produktionsbetrieben nahezu täglich Produktionsfehler auf, die – sofern sie nicht rechtzeitig erkannt und unmittelbar behoben werden – zu Ausschuss­produktion und somit zu hohen Kosten für die Produktionsbetriebe führen können.

Beispiele solcher Produktionsfehler in der Extrusion können geometrische Abweichungen von der Soll-Geometrie (z.B. Verzug, Bogenlauf, Randaufwölbung), schlechte Oberflächenqualitäten (z.B. Einfallstellen, Flecken, Schlieren oder Stippen), Einschlüsse im Extrudat (z.B. Lufteinschlüsse, Gasblasen, Porositäten oder Lunker), verringerte mechanische Festigkeitswerte oder viele weitere Fehler sein.

Letztendlich lässt sich die Produktqualität stets auf das Zusammenwirken von beeinflussbaren Parametern und sogenannten Störgrößen zurückführen.

 

Qualität = beeinflussbare Parameter + Störgrößen

 

Als beeinflussbare Parameter gelten in der Extrusion beispielsweise die klassischen Anlagenparameter wie etwa der Massedurchsatz, die Massetemperatur, die Abzugsgeschwindigkeit oder Größen wie Vakuumniveau oder Anpresskräfte. Nicht ohne weiteres beeinflussbare Parameter sind beispielsweise die Materialqualität, die Umgebungsbedingungen oder der Anlagenverschleiß. Hier werden zwar häufig intensive Anstrengungen unternommen, den Einfluss dieser Parameterdurch spezielle Lieferantenverträge, Materialeingangskontrollen oder Produktion in klimakontrollierter Umgebung zu vermindern, dies ist aber leider in der Praxis nicht immer möglich.

Zur Sicherstellung einer höchstmöglichen Produktqualität ist es erstrebenswert, möglichst alle Wechselwirkungen zu kennen, die einen Einfluss auf die Qualität des Produktes haben. Derartiges Wissen über den Prozess und die Zusammenhänge wird als sogenanntes Expertenwissen bezeichnet und existiert in hohem Maße in den Köpfen erfahrener Maschinenbediener oder entsprechender Prozessexperten. In vielen Fällen sind geschulte und erfahrene Mitarbeiter in der Lage, beim Auftreten eines Produktionsfehlers die Produktionssituation mit wenigen Blicken zu erfassen, zu verstehen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, die zu einer Behebung des Problems führen. Leider ist es jedoch in der heutigen Zeit oft schwierig, interessierte Fachkräfte zu finden oder junge Leute in diesen Beruf einzulernen, da heute andere Berufe bei der Jugend stärker nachgefragt sind.

In einer solchen Situation wird dann der Einsatz von virtuellen Produktionsassistenten für viele Betriebe sehr interessant, da ein derartiges System in der Lage ist, weniger erfahrenen Maschinenbedienern eine Hilfestellung zur Verfügung zu stellen, sodass Probleme schnell und effizient behoben werden können und gleichzeitig das Know-how des Maschinenbedieners steigt.

 

Virtuelle Produktionsassistenz

Ein virtueller Assistent ist ein System bestehend aus Sensoren, einem Messwert­erfassungssystem sowie einer Spezialsoftware für die Kunststoffverarbeitung. Die Sensoren erfassen Informationen aus dem Prozess – analog zu den Augen des erfahrenen Maschinen­bedieners. Parallel zu den Sensoren werden aber auch Maschinenkommunikationslösungen (M2M) integriert, die sozusagen erfassen, was andere Maschinen gerade tun – analog zu den Ohren des Maschinenbedieners, wenn er z.B. Informationen von den Kollegen aus der Instandhaltung abfragt.

Diese Informationen werden über ein Messdatenerfassungssystem einer Spezialsoftware für die Kunststoffverarbeitung zur Verfügung gestellt und dort verarbeitet und ausgewertet. Auf der Basis von Expertenwissen, welches zuvor in die Software implementiert wurde, kann dieses Softwaresystem nun die Situation analysieren, interpretieren und Vorschläge ableiten, welche Änderungen an den Prozessparametern zu einer Verbesserung der Situation führen würden – analog zu den Gedanken im Gehirn des erfahrenen Maschinenbedieners.

Tritt nun im Prozess eine messbare Qualitätsveränderung auf, beispielsweise eine erhöhte Ovalität bei der Herstellung eines Kunststoffrohres, erkennt der virtuelle Produktionsassistent diese Veränderung über Sensorik und leitet diese Information an die Spezialsoftware (Vipra) weiter. Innerhalb der Software ist das Problem „Ovalität“ bekannt und somit weiß die Software auch, welche Prozessparameter das Auftreten dieses Fehlers hervorrufen bzw. begünstigen können. Identisch wie der erfahrene Maschinenbediener nun vorgehen würde, überprüft die Software nun (vollautomatisch) Veränderungen des Produktionsprozesses. Das System greift dazu über die M2M-Kommunikations­schnittstellen auf beliebige Maschinen und Anlagen zu und fragt relevante Werte, wie beispielsweise die Massetemperatur, das Drehmoment des Schneckenantriebs, das eingestellte Vakuum-Niveau an der Hülsen-Kalibrierung, ggf. vorhandene Informationen über die Zentrierung des Werkzeuges, Anpresskräfte von Andruckrollen bzw. Förderbändern oder auch Informationen über das verarbeitete Material, mechanische Eigenschaften des Materials oder sogar Informationen zu den Umgebungsbedingungen wie Hallentemperatur und Luftfeuchtigkeit ab. Auf der Basis dieser Daten wertet das System aus, ob die derzeit real vorliegende Situation die Voraussetzungen erfüllt, ein qualitativ einwandfreies Produkt herzustellen. Ist dies nicht der Fall, werden Vorschläge generiert, welche Umstellungen am Prozess vorgenommen werden müssten, damit eine Steigerung der Qualität erreicht werden kann. Diese Vorschläge sind dabei immer konkret auf das vorliegende Problem bezogen und basieren auf konkretem Expertenwissen, welches zuvor in das Assistenzsystem – in der Regel kundenindividuell in Kooperation zwischen Hersteller und Produktionsbetrieb – im System implementiert wurden. Somit ist das System in der Lage, zu unterschiedlichsten auftretenden Problemen, kompetente und zielgerichtete Hilfestellungen zu geben.

Die Oberfläche der Software (Vipra Dashboard) stellt die unterschiedlichen Funktionen des Systems bereit. Der Maschinenbediener kann auf einem übersichtlichen Touch-Screen die aktuellen Prozessparameter der Anlage einsehen, historische Daten auswerten (z.B. ob die Massetemperatur in den letzten 4 Stunden gravierend gestiegen oder gesunken ist) oder er kann sich automatisierte Kennzahlen (KPI) darstellen lassen.

Die Kennzahlen geben dem Maschinenbediener wertvolle Informationen über den laufenden Prozess und vergleichen den Prozess gleichzeitig mit vorherigen Produktionsprozessen.

Wurde beispielsweise das gerade produzierte Produkt zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal mit einer höheren Durchsatzleistung oder mit einer höheren Robustheit (weniger Fehler pro Zeiteinheit) produziert, dann kann das System dem Maschinenbediener eine entsprechende Information zur Verfügung stellen. Dabei beinhaltet diese Information aber nicht nur die Angabe darüber, dass beispielsweise eine Durchsatzsteigerung möglich sein könnte, sondern das System informiert auch darüber, welche Prozessparameter bei der anderen Produktionssituation eingestellt waren.

So erhält der Maschinenbediener zielgerichtete Informationen und kann selber entscheiden, ob er die Prozesssituation verändern möchte, oder ob er den aktuellen Prozess beibehalten will.

Im Falle eines auftretenden Fehlers steht dem Mitarbeiter direkt an seiner Produktionsanlage ein Troubleshooting-Assistent zur Verfügung. Nach einer Auswahl aus typischen Fehlern (diese werden kundenindividuell in das System implementiert) erhält der Mitarbeiter eine Information darüber, was die Ursachen für diese Art von Fehler sein können und welche Parameter beim Auftreten dieses Fehlers nach Möglichkeit geprüft werden sollten. Sofern das System über die direkte Datenverbindung zur Maschine verfügt (optional) kann nun auch eine automatisierte Analyse gestartet werden, in dessen Verlauf der Assistent alle möglichen Ursachen durchgeht und aufgrund der Maschinendaten Veränderungen oder Anomalien erkennt. So erhält der Maschinenbediener nach einigen Sekunden eine Auswertung, was sich im Prozess geändert hat und eine Empfehlung, wie er den Prozess optimieren könnte.

Da nicht jeder Parameter innerhalb einer Produktionssituation live messbar ist, greift das System zur Diagnose nicht nur auf Sensordaten real existierender Sensoren zu, sondern es führt (optional) automatisiert Computersimulationen über den Prozess live während der Produktion durch. Auf der Basis der real eingestellten Prozessparameter wird in der Simulation die gesamte thermodynamische Abkühlsituation des extrudierten Produktes und berechnet dem Maschinenbediener an der Anlage visualisiert.

So erhält der Bediener Einblick in die gesamte Abkühlsituation des Produktes und kann die Temperaturverteilung – also auch die Temperatur im Bereich des Kerns oder innenliegender Stege live verfolgen. Gerade bei der Produktion von komplexen Geometrien wie Hohlkammerprofilen oder bei eigenspannungssensiblen Produkten wie Platten, Rohren oder Vollstäben sind diese Informationen zur Prozessoptimierung von enormer Wichtigkeit. Durch den Einsatz dieses Soft-Sensors (chillWARE® Live) sind zusätzlich noch die sich ergebenden Eigenspannungen im Produkt sowie Informationen zu Abkühlgradienten oder möglichen Kristallisationsgraden jederzeit live ablesbar.

 

Fazit

Virtuelle Assistenzsysteme vereinen verfügbares Expertenwissen mit modernen Methoden der computergestützten Prozesssimulation und der intelligenten Datenverarbeitung (beispielsweise auch basierend auf KI-Methoden) in einem System. Mit einem auf die Kunststoffverarbeitung spezialisiertem System stehen dem Maschinenbediener exakt die Funktionen zur Verfügung, die für den praktischen Alltag notwendig sind um eine hohe Qualität bei gleichzeitig hoher Produktivität zu realisieren. Gleichzeitig unterstützt das System dabei Know-how im Unternehmen zu steigern. Virtuelle Assistenzsysteme sind die Zukunft der Kunststoffverarbeitung.

Architektur des virtuellen Produktionsassistenten (Vipra) - Digitale Augen und Ohren © SHS Plus GmbH
Architektur des virtuellen Produktionsassistenten (Vipra) - Digitale Augen und Ohren © SHS Plus GmbH
Vipra Dashboard © SHS Plus GmbH
Vipra Dashboard © SHS Plus GmbH
Kennzahlen-Report © SHS Plus GmbH
Kennzahlen-Report © SHS Plus GmbH
Information, was die Ursachen für diese Art von Fehler sein können und welche Parameter beim Auftreten dieses Fehlers geprüft werden sollten. © SHS Plus GmbH
Information, was die Ursachen für diese Art von Fehler sein können und welche Parameter beim Auftreten dieses Fehlers geprüft werden sollten. © SHS Plus GmbH
Einsatz dieses Soft-Sensors chillWARE® Live. © SHS Plus GmbH
Einsatz dieses Soft-Sensors chillWARE® Live. © SHS Plus GmbH

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