Future Skills auf dem Lehrplan

Studenten mit 3D-Drucker
Future Skills auf dem Lehrplan © iStock/yacobchuk
Die JKU Linz will mit drei neuen Studienrichtungen Plastik neu denken
Die JKU Linz will mit drei neuen Studienrichtungen Plastik neu denken © JKU
Christoph Burgstaller, FH OÖ Campus Wels
Christoph Burgstaller, FH OÖ Campus Wels © FH Oberösterreich
Christiane Rau leitet den neuen Studiengang „Sustainable Solutions“ am FH OÖ Campus Wels
Christiane Rau leitet den neuen Studiengang „Sustainable Solutions“ am FH OÖ Campus Wels © Cityfoto/Roland Pelzl

10.07.2023

Kunststoff ist ein zentraler Werkstoff, um neue Lösungen für die Energie- und Klimakrise zu erarbeiten. Gleichzeitig aber treiben in unseren Meeren ganze Plastikinseln. Das zeigt: Die Herausforderungen einer intelligenten und nachhaltigen Kunststoff-Kreislaufwirtschaft sind hoch, Kunststofftechnikerinnen und Kunststofftechniker sind daher gefragte Leute.

Die Kunststofftechnik steht unter Druck: Der Werkstoff ist dank seiner vielfältigen Eigenschaften für viele Anwendungen unverzichtbar. Trotzdem ist der Begriff „Plastik“ in den vergangenen Jahren regelrecht zu einem Unwort geworden, da das Material leider noch viel zu oft in der Landschaft landet. Neue rechtliche Rahmenbedingungen, die der European Green Deal mit sich bringt, sollen dies künftig verhindern. Auf dem Weg zu einer funktionierenden Kunststoffkreislaufwirtschaft wird sich die Kunststofftechnik stark transformieren müssen. Ein moderner Maschinenpark alleine wird dafür nicht reichen. Es braucht intelligente und an künftige Herausforderungen angepasste Qualifizierungskonzepte, um ausreichend Nachwuchs für die Branche zu gewinnen.


Klimakrise und Digitalisierung verändern die Branche

In wichtigen Kunststoffmärkten wie Mobilität oder Verpackung sind bereits große Veränderungen im Gang. Ökologische Unbedenklichkeit, Lebenszyklusanalysen, Energie- und Ressourceneinsatz oder soziale Verträglichkeit spielen heute im Innovationsprozess eine entscheidende Rolle. Kunststoffe werden künftig noch umwelt- und ressourcenschonender eingesetzt werden müssen. Neue Technologien in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz (KI) werden die Prozesse und das Fertigungsumfeld stark verändern und die gesamte Wertschöpfungskette zunehmend digital transformieren.

„Nur mit ausreichend Kunststofftechnikerinnen und -technikern in Forschung und Wirtschaft wird es gelingen, die Wachstums- und Transformationsziele zu erreichen. Und nur so können wir die Zukunft des Kunststoffstandorts Österreich sicherstellen“, ist Wolfgang Bohmayr, Leiter des Kunststoff-Clusters, überzeugt.

Ausbildungsinhalte anpassen

In den vergangenen 50 Jahren wurden hierzulande exzellente Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Kunststofftechnik aufgebaut: beginnend mit spezifischen Lehrberufen wie Kunststoffverfahrenstechnik, Kunststofftechnologie oder Werkzeugbautechnik, Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) mit Kunststoffschwerpunkten, Fachhochschulstudiengängen bis zum Kunststofftechnikstudium an der Johannes Kepler Universität Linz und der Montanuniversität Leoben. Viele dieser Ausbildungswege sind seit langem etabliert – nun gilt es, sie an aktuelle und künftige Herausforderungen vor allem in Richtung Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung anzupassen und zu reformieren. Vieles davon ist bereits in Arbeit:


Drei neue Studiengänge an der JKU

Die Johannes Kepler Universität (JKU) Linz will Plastik neu denken: Drei neue Studienrichtungen sollen die Kunststofftechnikerinnen und -techniker der Zukunft ausbilden. Ab dem Wintersemester 2023/24 starten dazu ein Bachelor- und zwei Masterstudiengänge, die sich Fragen wie „Wie kommen wir zu ökologischen Werkstofflösungen?“ oder „Wie können nachhaltige, umweltschonende HighPerformance- und Biokunststoffe hergestellt werden?“ widmen. Konkret wird es ab Herbst 2023 den Bachelorstudiengang „Nachhaltige Kunststofftechnik und Kreislaufwirtschaft“ und ab dem Wintersemester 2024/25 das Masterstudium „Plastics Management and Sustainability“ sowie ein weiteres Masterstudium „Polymer Engineering and Science“ geben. Neben Fachwissen über Kunststofftechnik stehen auch sogenannte Future Skills auf dem Ausbildungsplan. Die Studierenden bekommen Kompetenzen vermittelt, um erfolgreich zum Wohl von Umwelt, Menschheit, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik agieren und interagieren zu können.


Schulterschluss von Universität und Industrie

In keiner einzigen Region Europas wird die gesamte Wertschöpfungskette der Kunststoffbranche auf so engem Raum abgebildet wie in Oberösterreich. In intensiver Zusammenarbeit mit heimischen Unternehmen arbeitet die JKU seit Jahren am kontinuierlichen Ausbau des Standorts im Bereich der Kunststofftechnik und Polymerchemie. Ein Beispiel dafür ist die LIT Factory, eine einzigartige Lehr-, Lern- und Forschungsfabrik für Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung. Die Neuausrichtung der Kunststofftechnikstudien an der JKU stößt daher auch auf breite Zustimmung und Unterstützung bei Partnern aus Industrie und Wirtschaft:

„Kunststoff ist der Werkstoff der Zukunft. Die polymeren Materialien spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, umweltbewusst und gesund zu leben und das Klima zu schützen. Um diese Potenziale auszuschöpfen, brauchen wir in der Industrie gut ausgebildete, engagierte Menschen, die mit Leidenschaft daran arbeiten, Kunststoffe fit für die Zukunft zu machen“, betont Stefan Engleder, CEO der ENGEL Holding.

Früh übt sich

Auch der Studiengang Werkstoffwissenschaften und Fertigungstechnik der FH OÖ Campus Wels setzt seit geraumer Zeit auf Themen wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung, um den Studierenden das Rüstzeug für künftige Herausforderungen mitzugeben.

„Um darüber hinaus attraktiv für den Nachwuchs zu sein, haben wir in den vergangenen Monaten an einer Neugestaltung des Studiengangs gearbeitet. Zwei große Ziele haben uns angetrieben: Erstens sollen die Studierenden in ihrem Fachbereich noch früher als bisher in die praktische Ausbildung kommen“, erklärt Christoph Burgstaller, Professor für nachhaltige Kunststofftechnologie am Campus Wels. „Dies passiert nun schon ab dem ersten Semester über interne Praktika, wo auch jene Leute, die nicht mit einer technischen Vorbildung zu uns kommen, mit der Kunststoffverarbeitung und Materialcharakterisierung vertraut gemacht werden und so ein besseres Verständnis für den Kunststoff erhalten.“

Studieren und arbeiten

Zweitens sollen die Studierenden die Möglichkeit haben, neben dem Studium an zwei Tagen in der Woche zu arbeiten.

„Wir wollen damit attraktiv sein für jene, die sich nach einigen Jahren Berufserfahrung nochmal weiterbilden wollen. So bleibt der Kontakt zum Unternehmen erhalten und die Betriebe profitieren von der zusätzlichen Qualifikation ihrer Mitarbeiter“, argumentiert Burgstaller.

Eine vielversprechende Kombination, denn eine praxisbezogene Ausbildung gilt neben theoretischem Know-how vor allem in technischen Berufen als ideale Voraussetzung für eine chancenreiche Karriere.


Neuer Studiengang „Sustainable Solutions“

Ab dem Wintersemester 2023/24 bietet der FH OÖ Campus Wels den neuen Bachelor-Studiengang „Sustainable Solutions“ an. Damit spricht die Welser Fakultät junge, global denkende, nachhaltigkeitsorientierte Menschen an, die bereits durch ihr Studium einen positiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft leisten möchten.

„Die Zukunft gehört auch der nächsten Generation. Wir wollen ihr das perfekte Werkzeug geben, die Welt bestmöglich mitzugestalten: eine Ausbildung, die wirtschaftliche, ökologische, soziale und technische Themen verknüpft“, beschreibt Studiengangsleiterin Christiane Rau die Neuartigkeit des Studiengangs.

Interdisziplinär und projektorientiert

Wer echte Nachhaltigkeit gestalten will, muss Know-how in vielen Bereichen mitbringen. Deshalb ist der Studiengang „Sustainable Solutions” vom ersten Tag an interdisziplinär angelegt. Und Theorie wird sofort zum praktischen Leben erweckt: Projekte und deren konkrete Umsetzung stehen von Beginn an im Fokus. In Lehrveranstaltungen mit lokalen Unternehmen, öffentlichen Organisationen und NGOs entwickeln die Studierenden ihre fachlichen und persönlichen Kompetenzen. Begleitet wird die Ausbildung zusätzlich durch Elemente der Persönlichkeitsentwicklung und sozialen Kompetenz. Schwerpunkte des Studiums sind das Produkt- und Prozess-Design bzw. Re-Design, Nachhaltigkeitsmanagement und die Gestaltung sozialer Systeme, um so technische Lösungen nachhaltig in der Industrie implementieren zu können.


Europa blickt auf Österreich

Ein einzigartiges Ausbildungskonzept, um das Österreich europaweit beneidet wird, sind die Höheren Technischen Lehranstalten (HTLs). Sie gelten als wahre Talentschmieden für den Technikernachwuchs in unserem Land. Die ideale Kombination aus Praxis und Theorie mit einem Abschluss auf hohem Niveau macht sie so begehrt. Und trotzdem kämpfen auch diese Bildungsstätten mit dem vielzitierten Nachwuchsproblem.

„Junge Menschen sind leider nur schwer für das Thema Kunststoff zu begeistern. Deshalb setzen wir auf eine ansprechende Bezeichnung der angebotenen Ausbildungsrichtungen. Mit ‚Werkstoffe und Umwelttechnik‘ sowie ‚Produktentwicklung und technisches Design‘ haben wir zwei attraktive Zweige mit Fokus auf Kunststoff geschaffen“, sagt Josef Karl, Direktor der Andorf Technology School.

Und nachdem sich das Leben junger Menschen auch virtuell abspielt, setzt die Andorfer HTL zusätzlich auf soziale Medien.

„Mit coolen Postings und Kurzvideos über ansprechende Projekte wollen wir Jugendliche emotional ansprechen und für unser Ausbildungsprogramm begeistern“, verrät Karl.

Unternehmen formen den Nachwuchs

Ein österreichweites Vorzeigebeispiel für Ausbildungsinhalte am Puls der Zeit ist auch die neue Fachschule für Kunststoff- und Recyclingtechnik an der HTL Ferlach. Seit vergangenem Herbst werden dort die Fachkräfte von morgen ausgebildet – Kärntner Kunststoffbetriebe haben am Ausbildungskonzept erheblich mitgearbeitet, um die Lehrinhalte an den tatsächlichen Bedürfnissen der Unternehmen auszurichten.


Hilfe bei der Partnervermittlung

Die Suche nach HTL-Absolventen gestaltet sich für Unternehmen meist zeitaufwendig und schwierig. Sehr viele Betriebe bemühen sich um vergleichsweise wenige Talente. Es läuft ein Rennen um die besten Köpfe. Deshalb unterstützt die HTL-Karriereplattform der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria beim Matchmaking zwischen HTL-Absolventen und der heimischen Wirtschaft.

„Oberösterreichische Unternehmen bieten hervorragende Jobchancen mit tollen Aufstiegsmöglichkeiten. Mit unserer Initiative ‚Starte deine Karriere mit uns – Oberösterreichische Unternehmen suchen dich‘ unterstützen wir diese Betriebe bei der Suche nach jungen Technikern und zeigen gleichzeitig jungen Talenten die Vielfalt unserer innovativen Unternehmen“, sagt Werner Pamminger, Geschäftsführer von Business Upper Austria.

Lehre auf dem Stand der Technik

Auch die Lehre formiert sich neu. Die seit rund 20 Jahren bestehenden Lehrberufe Kunststofftechnik und Kunststoffformgebung haben ausgedient.

„Mit 1. Mai 2023 ist die Ausbildungsordnung für den neuen Lehrberuf Kunststofftechnologie in Kraft getreten. Diese ersetzt den Lehrberuf Kunststofftechnik. Damit verbunden sind wesentliche Veränderungen in Bezug auf die Lehr-, Lern- und Ausbildungsinhalte“, berichtet der Bundesinnungsmeister der Kunststoffverarbeiter, Frank Böhler.

Das Berufsprofil des Lehrberufs Kunststofftechnologie ist deutlich umfangreicher und entspricht wieder dem aktuellen Stand der Technik. Wichtige Aspekte sind dabei: Digitales Arbeiten, Automatisation, Robotik, Design for Recycling, Prozessentwicklung und Werkstofftechnik.


Neuer Lehrberuf Faserverbundtechnik

„Der neue Lehrberuf Kunststofftechnologie wird aufgrund der erweiterten Lehrinhalte nicht mehr für alle Ausbildungsbetriebe möglich und nötig sein, die bisher den Beruf Kunststofftechniker ausgebildet haben“, glaubt Böhler.

Für diese Betriebe empfiehlt er den 2022 eingeführten Lehrberuf Kunststoffverfahrenstechnik, der im Wesentlichen die Inhalte des früheren Berufs Kunststoffformgeber abbildet. Aber auch hier gab es Aktualisierungen in der Lehrverordnung: Digitalisierung sowie technische Neuerungen bei Extrusion, Spritzguss, Thermoformen, Kunststoffbearbeitung und Recycling werden nun berücksichtigt. Weiters ist geplant, ab dem Schuljahr 2024/25 einen neuen dreijährigen Lehrberuf Faserverbundtechnik an der Berufsschule Steyr zu unterrichten.